Textproben

Die drei Jäger sehen nicht so aus, als hätten sie viel gefangen an diesem Wintertag, so, wie sie da, gerade aus dem Wald gekommen, in gebeugter Haltung und ohne erlegtes Wild – nur einen mageren Fuchs haben sie erbeutet – durch den tiefen Schnee stapfen, der einen zum Dorf weiter unten hinabführenden Abhang bedeckt. Auch die Hunde wirken eher bedrückt, sogar ein wenig beschämt und vor allem zutiefst erschöpft. Sie trotten mit gesenkten Köpfen und Ruten dahin, dicht zusammenbleibend, wie um dem kalten Wind, der sie vor sich hertreibt, nicht gar so schutzlos ausgeliefert zu sein. Es ist eine insgesamt schlichte Szenerie, der auf den ersten Blick so gar nichts Festliches anhaftet; keinerlei Purpur, nur wenig gedämpftes Blau oder Grün, geschweige denn Gold beleben das Bild, keine erhabene Geste sorgt für eine übergeordnete Bedeutung.
   Es könnte auch sein, dass diese Männer nur zögernd in den Alltag ihres Dorfes zurückkehren, weil sie im Wald, vielleicht im ersten stumpfen Morgengrauen oder zur Zeit des frühen Lichtabfalls, etwas gesehen haben, was sie nun alle beschäftigt – allerdings schweigend: Jeder trottet stumm und in sich gekehrt dahin, sogar die Hunde. Vielleicht ist dies der Grund für ihren mageren Jagderfolg – sie alle sind einer rätselhaften Fährte gefolgt, tief hinein ins schwarze Schweigen des winterlichen Waldes, eine taube Stille, die nur ab und an vom dumpfen Aufprall der von den Ästen fallenden Schneelasten unterbrochen wurde, und diese Fährte führte sie zu einer Lichtung, auf der ihnen ein Wesen gelassen entgegensah, eines, das kein Mensch, der klaren Verstandes ist, töten und das kein Hund jagen würde, etwas, das in seiner schroffen Andersartigkeit das Gegenteil zur dörflichen Welt der Zwischentöne bildete, ein Geschöpf der Wildnis, nicht der Kultur. Und nun stapft die Gruppe verschreckt, verträumt und verdrossen zugleich heimwärts, nachdem sie keine weiteren Fährten mehr und alle tags zuvor ausgelegten Schlingen leer vorgefunden hat, nur in der letzten der magere Fuchs. Nun ja, die Hühner des Dorfes wird es freuen.
   In all den klirrend grau, schwarz und fad gesetzten Winterfarben des Alltags ist man nun froh über die braunroten, wenn auch beinahe kahlen Windungen des filigranen Strauches, an dem die heimkehrenden Jäger und ihre Meute gerade mit gesenkten Köpfen vorbeiziehen.
   Die wattig tiefe Dämmerung lässt den Schnee leuchten, sodass das letzte Licht des Winternachmittags von unten kommt, nicht von oben, und bei aller Frostigkeit wirkt das Bild seltsam verhangen; neuer Schnee scheint in der Luft zu liegen. Das Rot und Gelb des Feuers vor dem Gasthaus am Wegesrand, über dem vielleicht Getreide geröstet oder eine Schwein gesengt wird, ist die einzige warme Farbe – aber auch sie vermag nichts gegen den Eindruck eisiger Kälte auszurichten. Man stellt sich vor, dass man, selbst wenn man unmittelbar davor stünde, immer noch frieren würde, so, wie die Flammen vom Wind gepeitscht werden und so matt, wie sie brennen. Über der Wirtshaustür schwankt ein Schild schief an nur noch einem Haken, darauf der heilige Eustachius – der Schutzpatron der Jäger – und die Worte »Dit is indem Hert« (»Zum Hirschen«). Als wäre das fehlende Jagdglück der heimtrottenden Schar nicht schon augenfällig genug. Nun wird es sehr rasch dunkel werden, auch wenn noch kein Licht die Fenster der Häuser erhellt, dort in dem Dorf, das sich ins verschneite Tal schmiegt. Denn Holz und Kerzenwachs sind kostbar.
   Aber nur auf den ersten Blick wirkt das Ganze schlicht oder sogar trist, denn sieht man genauer hin, verstärkt sich der Eindruck von dörflichem Frieden und bescheidenem Wohlstand immer mehr. Alle Häuser, die man sieht, sind intakt, die Dächer gedeckt und die Mauern fest. Das zugefrorene Rad der Wassermühle betont die eisige Tiefe des Winters, ebenso die Reisigsammlerin, die vorsichtig eine Brücke überquert, aber der Winter droht nicht nur mit Kälte, Hunger und trübem Licht: Die Männer, Frauen und Kinder des Dorfes, die man auf zwei großen, zugefrorenen Teichen herumlaufen und -rutschen sieht, vergnügen sich, schlitternd oder Eisstöcke schiebend; ein geschäftiges, doch gelassenes Treiben prägt das Bild, und man meint, durch die tiefe winterliche Stille hindurch beinahe die fernen, fröhlichen Stimmen der Dorfbewohner auf dem Eis zu hören. Hier haben Krieg und Hunger – jedenfalls derzeit – keinen Platz, denn wer hungert, friert oder sich fürchtet, hat weder die Zeit noch die Energie, um sich zu amüsieren.
   Auch die Jäger und ihre Hunde mögen erschöpft, von der Wildnis jenseits von Hecke und Hag beunruhigt und zumindest bei diesem Jagdausflug ohne großen Erfolg geblieben sein, aber man kann hoffen, dass ein warmes Feuer auf sie alle wartet, denn die Kleidung der Männer ist zwar einfach und dunkel, aber von gutem Tuch und nicht zerschlissen. Die dreizehn Hunde wiederum, von denen sich einer, eine Bracke, dem Betrachter zuwendet, werden sicher als Erste versorgt werden, bevor sich ihre Herren auch nur einen Bissen gönnen, denn sie sind kostbar, als wichtige Jagdgefährten sowieso und auch, weil sie bis auf fünf kurzbeinigere, nicht so ohne Weiteres identifizierbare Gesellen alle Jagdhunde sind. Bei vier schlanken, hochbeinigen Tieren scheint es sich sogar um Windhunde zu handeln. Dann gehört die Jagdgesellschaft zu der Burg, die man weiter hinten rechts zu erahnen meint, oder es sind Lurcher, Windhundmischlinge, die einzigen Windhundartigen, deren Besitz Bauern gestattet ist.
   Letztendlich möchte man vielleicht also doch eintauchen in dieses irgendwo zwischen Düsternis und Idylle schwimmende Bild, wenn auch nur für diesen einen Abend, der eine tiefe Stille am warmen Feuer verspricht. Hier für die Jäger, die, inzwischen wieder aufgewärmt und kältemüde, vielleicht schweigend eine Schale mit Eintopf verzehren werden, und dort für ihre zufrieden dösenden Hunde, die längst schon alles vertilgt haben, was vom Tisch der Menschen für sie abgefallen ist.

Aus dem Buch-Projekt »Bilderrätsel«

Der blaue Planet
 

... J 34.678 wurde als „Wasserwelt“ beschrieben, doch erst jetzt begriffen wir, was damit gemeint gewesen war. 
   Bis zu diesem Moment hatte es für uns nichts Strahlendes gegeben als die Erde – nun ja, zumindest so, wie sie einmal gewesen war. Doch da schwebte nun Aqua, wie wir den Planeten auf der Stelle tauften, vor der Nase unserer Landefähre, ein gleißender Opal, von keiner einzigen Landmasse durchbrochen. „Was unter allen Sternenhaufen sollen wir denn hier finden?“, brummte der Stauffer, als er unsere kleine Fähre in den Sinkflug brachte. 
   Mir hatte es einfach nur die Sprache verschlagen. Aqua war ein funkelnder Traum – nur sollten wir uns nicht mit ihrer Schönheit befassen, sondern die Quelle des alten Signals aufspüren, das unseren Berechnungen zufolge von der Planetenoberfläche kommen musste. 
   Oberfläche? Es gab jede Menge Himmel und – so schien es – Wasser, gutes, altes H2O, wie der Computer behauptete, aber kein Land, nichts, was auf den Verbleib eines unserer alten Siedlerschiffe hätte hindeuten können – auch nicht, nachdem wir den Planeten mit unserem klapprigen Mutterschiff mehrmals umkreist hatten.
   Ich beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Elge, Prinzessin und Jeremias auf den Anblick der blau leuchtenden Wassermassen reagierten. Je tiefer die Fähre sank, umso sicherer war ich mir, dass wir alle uns drei Dinge fragten: Wo zum Teufel soll das Signal von dem alten Seelenverkäufer herkommen? Und wenn, wie sollen wir das Ding hier finden? Vor allem aber: Können wir nicht wenigstens diese Welt in Ruhe lassen, nachdem wir unsere schon so gründlich versaut haben? Doch was blieb uns übrig? Wir galten sowieso schon als der renitenteste Shuttletrupp des südlichen Außenpostens; mit unseren gesammelten Abmahnungen hätten wir die Wände in der Messe locker tapezieren können, wäre so etwas zu unseren Zeiten noch auf Papier gedruckt worden.
   Wir hatten uns dem blauen Gleißen weiter genähert, als der Stauffer ein gewichtiges Räuspern von sich gab. Ich beugte mich vor. Jetzt, wo die Distanz so gering geworden war,  dass wir nicht mehr geblendet wurden, konnten wir plötzlich kleine, dunkle, unregelmäßige Strukturen auf der Wasserfläche erkennen. „Seht ihr, was ich sehe? Ich meine, meint ihr, seht ihr das auch?“, flüsterte Prinzessin, während Jeremias kräftig gegen die Hauptkonsole des Schiffscomputers trat, der nicht schnell genug die Ergebnisse aus der eingeleiteten Wärmeabtastung ausspuckte.
   Noch während die Daten über den Schirm liefen, klappten uns die Kiefer nach unten und blieb dort auch für eine ganze Weile: Die dunklen Strukturen bewegten sich, waren deutlich wärmer als ihre Umgebung – und sie wiesen regelmäßige Muster auf!
   Was uns aber so verblüffte, dass der total abgelenkte Stauffer das Shuttle beinahe wie einen Betonklotz im Meer versenkte, war die Tatsache, dass die drei Gebilde, die unserer Flugbahn am nächsten lagen, offensichtlich versuchten, von uns wegzukommen. Weder ein Antrieb hinter noch Leben auf diesen schwimmenden Formationen war erkennbar – dennoch nahmen sie ordentlich Fahrt auf. Etwas, was niemand mit dem Stauffer tun darf, wenn er wissen will, was los ist, zumal dann nicht, wenn er um ein Haar sich und seine Kollegen in den Grund einer neuen Welt gebohrt hätte. Also ging er in den Gleitflug über ...

Lisa, eine Spanierin am Niederrhein
 

Die Seele der Podencos
Podencos wird nachgesagt, sie seien eine Mischung aus Hund, Katze und Philosoph. Da weder Katzen noch Philosophen als besonders geduldig gelten, was die Meinungen ihrer Diskussionspartner betrifft – ganz zu schweigen von so etwas Lächerlichem wie Befehlen –, ist damit eigentlich auch schon alles gesagt. Schlampig begründete und nicht den strengen Regeln hoher Diplomatie entsprechende Wortbeiträge lösen sich angesichts des hochmütig demonstrierten Desinteresses eines Podencos scheinbar in Luft auf – und der gerade angesprochene Hund unter Umständen gleich mit, einschließlich der Gelassenheit seines Besitzers.
  Und wenn er irgendwann wieder geruht, sich zu Füßen seines Menschen einzufinden und erneut bereit ist, ihm durchaus entspannt – und gänzlich im Stande der Unschuld – eines seiner so überaus großen Ohren zu leihen, hat dieser hoffentlich die mittlerweile verstrichene Zeit gut genutzt und begriffen, dass gediegene Umgangsformen ganz unbestreitbar von Vorteil sind.

Die Seele des Schäferhundes
Es scheint eine ganz tief, tief unten im Schäferhundherz wurzelnde Überzeugung zu geben, dass, wer aufpasst, zwangsläufig auch Recht hat. Und wenn solche Hunde zu zweit sind, dann haben sie noch viel rechter – was die dünne Decke urbaner Park-Zivilisation einer deutlichen Zerreißprobe auszusetzen droht.
   Konfrontiert mit der Frage „Warum hast du dich so aufgeregt, wenn doch überhaupt nichts los war?“, würde ein Schäferhund, so er denn sprechen könnte, nur die Pfoten über dem Kopf zusammenschlagen (erschüttert ob solchen Gottvertrauens) und antworten: „Natürlich war nichts los, ich habe ja auch aufgepasst!“

Insubordination
Das sind sie – die absoluten Sternstunden des gemeinen Hundehalters: Man steht wie bestellt und nicht abgeholt auf dem Waldweg, nachdem man vergeblich versucht hat, die eigenständige Suche seines Hundes nach seinem ganz privaten Hundeglück im Unterholz zu unterbinden – im Peinlichkeitsgrad nur noch zu steigern durch die Anwesenheit hundeloser Mitmenschen, die feixend in der Nähe herumlungern, sich an den Folgen mangelhaft durchgesetzter Autorität weiden und um keinen Preis der Welt Ankunftszeit sowie Reinheitsgrad des Abweichlers verpassen möchten (Wetten werden angenommen).
   Und wenn dieser chien perdu dann irgendwann lässig wieder angeschlendert kommt, quasi mit den Pfoten tief in den Hosentaschen seiner Baggy Pants (die Dinger sind wahrscheinlich von einem Hundebesitzer erfunden worden), Kaugummi (oder Schlimmeres) kauend, dann bedarf es allergrößter Gelassenheit, um wenigstens den Schein eines Gesichts zu wahren.
   So erreicht zumindest der Hundebesitzer einen Grad an Disziplin und asiatischer Undurchschaubarkeit, der für Menschen ohne Hund nur im Kloster oder in der Armee zu erwerben ist. Immer schön positiv denken.